Hallo liebe Forengemeinde,
in der letzten Zeit wird hier viel über alternative Mobilitätsdienstleistungen, die perfekte Kombination von (E-)Auto / Fahrrad / Roller / Miete diskutiert und natürlich die Energiewende diskutiert. Schon lange brennt es mich unter den Fingern meine persönlichen Erfahrungen aus den letzten zweieinhalb Jahren mal in Form eines Erfahrungsberichts zu teilen. Vielleicht ist dieser Bericht hier der ausschlaggebende Punkt für den ein oder anderen das Fahrzeug abzuschaffen, vielleicht bringt es euch zum Schmunzeln oder ihr nehmt etwas für die persönliche Mobilitätsstrategie mit.
Vorgeschichte
Ende 2018 erhielt ich meinen ersten selbst- und nach Wunsch konfigurierten Dienstwagen mit hervorragenden Bedingungen. Im Januar 2019 begann ich mit einem Fahrtenbuch, um gegenüber der 1% Regelung Steuern zu sparen. Der große Teil der Dienstfahrten war privat.
Im Februar zog ich eine erste Bilanz: 191 private Kilometern standen 3500 dienstlichen Kilometern gegenüber. An den wenigen Tagen im Büro realisierte ich, dass ich für die 1,5 Kilometer Arbeitsweg ins Büro jeden Morgen 5 Minuten den Doppelparker hoch und runter fuhr. Nervig. Ich war außerdem fast nie zuhause. Beschissen mit einem kleinen Kind. Das führte mich zu einer beruflichen Veränderung und damit den einhergehenden Verzicht auf den Dienstwagen. Der Familienrat wurde einberufen, ob wir weiterhin ein Auto benötigen oder ob wir auf Mietwagen und andere Dinge umsteigen. Zum Glück war meine Partnerin mit dem Thema Mietwagen vertraut (wir hatten jahrelang eine Fernbeziehung) und so entschieden wir uns gegen ein Auto.
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Folgende Gründe führten wir an (hier kommt der Teil zum Schmunzeln):
Ein PrivatPKW ist immer dann nicht zu gebrauchen, wenn man ihn am meisten braucht. Eine Panne nachts um 3 mit schreiendem Säugling bei Schneeregen und Windstärke 12 ist eben komfortabler, wenn man wenigstens ein top-gepflegten Mietwagen hat, der nicht älter als 6 Monate ist.
Der Dienstwagen kostete bei 1% Regelung 300€ im Monat. Dieses Geld könnte man einsetzen, um jeden Wocheneinkauf mit dem Taxi zu erledigen. Für die Urlaubsmieten bliebe genug Budget über. Ein familientauglicher PrivatPKW wäre ehrlich gerechnet ähnlich teuer, dafür immer verfügbar.
Zudem hatten wir perfekte Rahmenbedingungen. Wir wohnen im gut angebundenen Stadtrand. Ein Park mit Fluss und Wanderweg ins Grüne war 5min Fußweg entfernt, die Buslinie vor der Tür braucht 10 Minuten bis in die Innenstadt, Fleischer, Bäcker, Supermarkt, Friseur, Fischladen, Dönerbude, Bioladen und Wochenmarkt sind fußläufig erreichbar. Getränke kaufen war nie ein Thema bei uns, Wasser kommt aus dem Wasserhahn. Die Tiefgarage mit Doppelparker war zudem nervig.
Die erste Zeit (Juni 2019 bis Corona März/2020)
Die erste Anschaffung war ein Kinderfahrradsitz. Alltägliche Wege wurden per Rad erledigt, ich nahm in dieser Zeit ungefähr 10 Kilo ab.
Wocheneinkäufe haben wir maximal 5 mal liefern lassen, ein Taxi haben wir nie gebraucht.
Weihnachten und Silvester haben wir jeweils eine Woche vorher einen Liefertermin bei REWE geblockt um dann einen Tag vorher unsere Bestellung auf den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Irgendwie war ich sehr happy damit, irgendwie fühlte es sich auch komisch an, seinen Einkauf eine Woche vorher zu planen beziehungsweise den Lieferslot zu blocken. Eine ziemliche Ellbogenmentalität, die mir eigentlich nicht so liegt.
Es gab Monate, da hatten wir jedes Wochenende einen Mietwagen und es gab auch mal zwei Monate am Stück ohne Auto. Als allererste Miete nach Rückgabe des Dienstwagens gönnte ich mir übrigens erstmalig LDAR und bekam einen 530dx. Mein erster Sechszylinder. Wir fuhren an dem Wochenende irgendwie nur 250km um Freunde zu besuchen. Das Fahrzeug beindruckte mich, aber nicht so sehr, dass ich das nun als Standard für alle Mieten anlegen wollte.
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Im übrigen verbrachte ich viel Zeit im Forum und der lokalen Mietmafia-Whatsappgruppe um Sonderangebote zu ergattern oder rechtzeitig (ein halbes Jahr vorher) Mieten für lange Wochenenden und Feiertage klar zumachen. Jederzeit stornierbar und Hauptsache schon mal was geblockt haben, damit dann nicht kurz vor Weihnachten Stress auf der Suche nach einem PKW ausbricht. ?
Im November gönnte ich mir für den Arbeitsweg eine Monatskarte. Wir vermissten nichts in dieser Zeit, auch ÖPNV funktionierte für unsere alltäglichen Wege wunderbar.
Im Dezember stand eine Dienstreise an, es gab einen Passat von Sixt. Nach einer anstrengenden Woche und 600km Rückreise ging es abends 23 Uhr nochmal in den Doppelparker. Rums, Antenne abgebrochen. Der Doppelparker ist für Fahrzeuge bis 1500mm Höhe zugelassen. Der Dienstwagen / Golf Variant mit 1455mm Höhe passte auch immer rein. Der Passat mit 1495mm (und einer höheren Antenne) passte eben nicht. Gut, 0€ SB über Sixt gebucht und grob fahrlässig war das auch nicht, ich hab mich vorab von der Fahrzeughöhe überzeugt und hab eben Pech gehabt. Bei jedem Schaden an einem PKW bin ich immer froh, keinen eigenen PKW zu besitzen.
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Zweiter Zeitraum März 2020 bis März 2021
Dieser Zeitraum war mit vielen Ängsten und Unsicherheiten belastet. Als Anfang März die ersten Länder Lockdowns verhängten, musste ich mein Einkaufsverhalten von 3-7 mal wöchentlich auf etwas anderes umstellen. Ich ging mit zwei riesigen Fahrradtaschen, einem Rucksack und einer Ikeatüte, die am Lenker hängen sollte, also los zum ersten Hamsterkauf ohne Fahrrad. Tatsächlich konnte ich zahlreiche Konserven, Toilettenpapier und Nudelpakete damit heimschleppen. Ab April 2020 bestellte ich übrigens Toilettenpapier bei Amazon (das mache ich heute immer noch). Auch die bessere Planung blieb bis heute hängen und wir kaufen maximal 2mal in der Woche mit riesigen Taschen ein, die wir grade noch so tragen können. Man achtet auch viel mehr auf die gekauften Mengen, die Verpackungsart und die Verpackungsgrößen. Auch das kommt unterm Strich sicher der Umwelt zu Gute.
Die Coronazeit war rückblickend eigentlich super: Wir kamen als Familie ohne Einbußen da durch, die ausgedehnten Ausflüge mit dem Fahrrad und meinem Kind bei wenig Verkehr, guter Luft und mit wenigen Menschen war klasse. Ich meine, dadurch dass wir an spazieren, Fahrrad fahren und unsere nahe Umgebung gut gewöhnt waren, haben wir das besonders gut gemeistert. Da wir kein Auto haben, hat sich unser Bewegungsradius nicht geändert und wir haben wenig vermisst.
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Nach den ersten Gerüchten von Lockerungen buchte ich sofort einen Mietwagen (stornierbar!) und ein Appartement an der Ostsee (stornierbar!) wenige Stunden später war alles 50% teurer. Gute Planung, die auch gut aufging und nicht storniert wurde.
ÖPNV bin ich deutlich weniger/ fast gar nicht mehr gefahren, meine Abokarte war aber noch nicht kündbar. Daher blieb ich treuer Kunde und meldete mich im Laufe des Jahres bei MOBIBike an (erste 30min Kostenlos Radfahren) und später noch bei TeilAuto, da dort ebenfalls die Anmeldegebühr und Kaution mit Abo entfällt und mein ohne Gebühr in den mittelpreisigen Tarif rutscht.
Von November 2020 bis Februar 2021 stand eine Renovierung und der Umzug ins Eigenheim (die Rahmenbedingungen der Wohnsituation haben sich kaum geändert) an. Diverse Entrümpelungen, Sperrgut und Einkäufe wurden entweder mit einem Teilauto erledigt oder mit einer „Gratis“-Wochenendmiete von Europcar (Upsell auf IWMR 15€/Tag).
Da musste ich etwas schlucken: Zwei Stunden Entrümpeln und sechs Kilometer zum Wertstoffhof mit einem TeilAuto-Caddy kosteten 8€, das sind ja 1,33€ je Kilometer für so eine Gurke. Die „Gratis“-Wochenendmiete kostete mich für 100km auch 45€ plus 8€ Sprit, also etwas mehr als 50 Cent je Kilometer.
Ein ähnlicher Konflikt bietet sich bei Wochenendausflügen mit der Familie: Bezahle ich jetzt 50€ für eine Wochenendmiete, um die netten Freunden 25km außerhalb der Stadtgrenze für einen Nachmittag zu besuchen? Lohnt sich eine Miete bei einem Preis von 1€ je Kilometer? Ist es das wert, ein Nachmittag bei Filterkaffee und selbstgebackenem Kuchen für 50€? Lädt man die Freunde dann nicht lieber gleich in ein hippes Cafe in der Stadt zu Kaffee und Kuchen ein? Meine Antworten dazu im Fazit.
April 2021 bis heute.
Ich checke regelmäßig cluno, like2drive, Hertz Wochenendabo und ähnliche Dienste. Verdammt, wer hätte gerechnet das Mietwagen so teuer werden. Letztendlich entscheide ich mich dagegen einen „eigenen“ PKW zu haben, das wäre ein Rückschritt und wenig sinnvoll.
- Ich habe noch zahlreiche stornierbare Mieten lange im voraus gebucht. Planbarkeit
- Das Auto würde die meiste Zeit rumstehen, die Kilometer bei meiner normalen Nutzung nicht ausgenutzt werden und potentielle Schäden würden die Kosten zusätzlich hochtreiben
- Fahrzeuggröße wäre am Bedarf vorbei. Mit ECMR fahre ich nicht 1000 Kilometer am Wochenende mit Familie. Und ich muss nicht für 400€ im Monat für ein Fahrzeug ausgeben, was zwar 95% meines Mobilitätsbedarfs abdeckt, aber eben auch für 80% meiner Fahrten überdimensioniert ist und 90% der Zeit gar nicht benötigt wird.
Es bleibt also alles wie gehabt und ich gewöhne mich daran, dass Mietwagen diesen Sommer besonders teuer sind.
Ein kurzer Rückschlag gabs auch bei der Impfterminbuchung. Ich hatte den persönlichen Konflikt "warten, bis etwas in Dresden frei ist" oder "spontane Annahme eines Termins mit langer Fahrtzeit". Am Ende habe ich den spontanen Termin genommen und je Impfung circa 40€ Fahrtkosten bei Teilauto gehabt. Das war es mir persönlich aber wert.
Ein Highlight war auch die Mitfahrt im RS6, danke @SilenceFox
FAZIT
Lohnt sich eine Miete bei einem Preis von 1€ je Kilometer? Ist es das wert, ein Nachmittag bei Filterkaffee und selbstgebackenem Kuchen für 50€?
Von diesen Gedanken habe ich mich verabschiedet. Ein privates Fahrzeug würde ungefähr 300€ im Monat kosten. Man würde dann vermutlich mehr fahren oder hätte eine andere Lebensqualität. Aber ich habe jetzt auch eine gute Lebensqualität. Wenn ich Auto fahren möchte oder muss, dann tue ich das. Und wenn der Ausflug zum Kaffeetrinken oder an den Badesee dann eben noch Mobilitätskosten von 30-50€ erzeugt, dann ist es so. Es gefällt mir gut diesen Preis für Mobilität direkt zu spüren und das eigene Verhalten und den ökologischen Fußabdruck zu optimieren.
Meine persönliche Meinung ist, dass sich ein privater PKW mit zwei schulpflichtigen Kindern auf alle Fälle rechnet und der geringere Planungsaufwand und die höhere Flexibilität einiges aufwiegt. In meinem persönlichen Fall und auch in der geplanten Zukunft muss aber kein Auto sein.
Der Schlüssel für ein Leben ohne eigenen PKW liegt definitiv meiner Meinung nach in den folgenden Punkte
- Gute Wohnsituation und Anbindung
- Planung, Kompromissbereitschaft und Kombination von verschiedenen Lösungen
- Persönliches Mindset und Wille.
Zum Schluss noch ein paar praktische Tipps:
- Oma und Opa als Enkeltaxi. Eigentlich sind die beiden gut mit ÖPNV zu erreichen, aber seid Corona sind wir wieder regelmäßig Mitfahrer bei meinen Eltern. Opas zweiwöchentliche Taxifahrten sind aber vermutlich noch ökologischer, als ein zusätzliches Fahrzeug, welches auf unseren Straßen 90% der Zeit rumsteht.
- In Dresden kann man gratis Lasträder mieten. Ich bin da seit zwei Jahren angemeldet, habe es aber noch nie genutzt. Die Idee ist aber Klasse https://friedafriedrich.de/
- Partnerschaften des örtlichen ÖPNV nutzen. In Dresden also DVB, TeilAuto, MOBIBike. Sorry TALENTfrei , Großraum Köln ist beim ÖPNV extrem rückständig.
- Und für die Umsteiger/ Neueinsteiger ein paar preisliche Orientierungswerte:
- Wochenendpreise für Kompaktklasse lagen bei mir zwischen üblicherweise 45-60€, jetzt nach Corona mit Neufahrzeugmangel eher so ab 60€ aufwärts
- Wochenpreise für Kompaktklasse lagen bei mir zwischen üblicherweise bei 145-170€, jetzt nach Corona mit Neufahrzeugmangel eher so ab 180€ aufwärts
Ich bin nun auf euer Feedback und eure Fragen gespannt. ?