Als ich ein kleiner Junge von ungefähr sechs Jahren war, saß ich stolz auf meiner Kindersitzerhöhung im Mercedes meines Großvaters.
Mein Großvater ist ein stattlicher Mann und weit jenseits seiner Berentung immernoch fit. So ist es sein persönliches Bedürfnis, den Gehweg um sein Grundstück vom Schnee zu befreien, obwohl der junge Nachbar jeden Winter wieder anbietet, den Part zu übernehmen.
Manchmal, wenn ich an Wochenenden Zeit habe, besuche ich ihn und meine Großmutter in ihrem kleinen Dorf im Fränkischen.
Zurück auf dem Kindersitz erinnere ich mich, wie ich mit meinem Großvater eines Samstages - es müssten meine ersten Schulferien gewesen sein - in die nächste Stadt gefahren bin. Es war keine weite Fahrt, ungefähr zwanzig Minuten. Wir machten Besorgungen, ich tappelte also an der Hand brav nebenher und durfte manchmal sogar schon die Autotür alleine aufmachen. Zuletzt hielten wir noch bei einer Gärtnerei, an der wir für meine Großmutter Blumenzwiebeln abholen sollten.
Mein Großvater ließ es sich nicht nehmen, ihr bei dieser Gelegenheit eine rote Gerbera mitzubringen - die ich auf der Heimfahrt stolz in der Hand halten durfte. Doch bevor ich wieder auf meine Sitzerhöhung klettern durfte, sahen wir uns das Auto an, das zwischenzeitlich neben dem weißen, tackernden Mercedes geparkt hatte.
Ein Jaguar XK8, in der Fränkischen Provinz - gerade noch zu dieser Zeit - eine echte Seltenheit und wahrscheinlich eines der ersten Autos, bei denen ich ins Staunen kam.
"Wenn Du groß bist, viel Geld verdienst und eine Frau hast, vielleicht ein paar Kinder - dann kannst Du Dir auch mal so ein Auto leisten.", sagte mein Opa. Und er musste recht haben. Immerhin fuhr er einen Mercedes. Egal welcher - es war für mich das größte und luxuriöseste Auto, dass es so gibt, auf der Welt. Und er hatte eine Frau. Und ein paar Kinder.
Es vergingen fast zwanzig Jahre. Ich machte Abitur, zog zuhause aus, meine Besuche wurden seltener, ich begann zu arbeiten, ich musste meinen Großvater im Krankenhaus besuchen, ich hörte auf zu arbeiten und begann ein Studium - und nun, wenige Monate vor dem Ziel, mit ein bisschen Berufserfahrung und einem abgeschlossenen Studium wieder öfter ins Fränkische zu fahren, sitze ich an meinem Schreibtisch.
Jaguar XE E-Performance
Sixt Erfurt
Am letzten Januarwochenende, nach abgelegter Prüfung und vor der Anmeldung meiner Bachelorarbeit, wollte ich mir 'was gönnen. Nochmal einen Ausflug, ein schönes Wochenende mit Freunden und Freundin - doch: Die Freundin war nicht mehr. Die Freunde hatten auch 'was Anderes vor - und ich stand hier, mit meiner Prepaidreservierung für FDAR mit unbegrenzten Kilometern.
"Geburtstagsüberraschung; Wunsch: Jaguar oder moderates Upsell", das hatte ich noch angemerkt. Und als mir ein Kommilitone, der im Mercedes-Autohaus gegenüber arbeitet, dann vormittags über WhatsApp ein Bild von gleich zwei edlen Jaguaren zukommen lies, war mein Tag eigentlich schon perfekt.
In bester Laune hatte ich also über die Sixt-App meinen Traum-XE geblockt - der mir noch auf dem Weg in die Station entgegengefahren kam. Mit einem anderen Mieter.
"Herr Dieselwunsch - ich bekomme Geld von Ihnen!"
Gut, so geht eine herzliche Begrüßung. Aber, noch ist meine Laune ungebrochen:
"Heute nicht, ist doch Prepaid. Sie bekommen meinen Ausweis, darauf können wir uns einigen!"
"Nein, nein - der 4er vor der Tür ist Ihrer, aber nur für ein bisschen mehr."
"Ach, Quatsch, einen vierer heute nicht. Ich nehm' gerne mein geblocktes Schmuckstück."
"A4 Limm, Beh, Mann - also, einen Aufpreis oder das?"
"Gut, machen Sie. Nächstes Mal lesen Sie aber die Bemerkung, Deal?"
Klicken, Lesen.
"Oh, Alles, alles Gute nachträglich! Den vierer oder ein paar Euro und den fünfdreißig vor der Tür?"
"Ach, kommen Sie. Ich hatte den Jaguar geblockt, nehmen wir doch den...?"
"Jaguar, Jaguar - ach ja. Aber Scheiben-Reifen-Schutz nehmen Sie?"
"Nein, heute nicht."
"Umzugskarton?"
Kopfschütteln.
"Sackkarre?!"
"Nö."
"Sechs Euro am Tag für die Null Euro!"
"Dann haben wir beide was davon?"
"Dann haben wir beide was davon."
"Gut. Bis Montag."
Mein Schmuckstück und ich waren vereint. Nach langen Gesprächen und zähen Verhandlungen. Und mein erster Griff ging - klar: Zum Telefon.
"Opa, Hallo, sag' was machst Du denn morgen?"
"Och, ein bisschen im Garten."
"Na, das lässt Du schön bleiben, ich komm' Dich morgens abholen und die Oma lassen wir zuhause."
Mit einem Lächeln auf den Lippen setze ich mich auf den Fahrersitz.
Aber - was sehen meine langsam bereits von Freudentränen unterlaufenen Augen? DOGIREO! Das Menü ist komplett auf koreanisch. Ich spreche kein koreanisch.
Immerhin ist zusätzlich die Navigations-SD-Karte geklaut.
Ich mache mich abermals auf den Weg in die Station.
"Sie haben kein Navi inklusive gebucht. Und wegen der Sprache, fragen Sie 'nen Fahrzeugpfleger!"
Gut, Sixt, heute reicht's mir. Nach zähen Bemühungen eines Wagenpflegers hat mich der Jaguar-Telefonsupport, den ich zwischenzeitlich kontaktierte, an eine Werkstatt vermittelt, die am Freitagnachmittag noch einen Jaguar mit Elektronikproblemen (So wurde mein Anliegen weitergegeben) aufnehmen.
Bei meiner Abfahrt hat dann irgendjemand aus der Station seinen Verstand zurückbekommen und wollte mir noch ein Scheiben-Navi mitgeben - ich habe aber dankend abgelehnt. Wenn ihr nicht sofort wollt - dann will ich auch nicht. Ätsch.
An dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die Herren vom Autohaus, die in simultaner Arbeit mit einem Range Rover, der das selbe Menü besitzt, die Anzeige wieder auf Deutsch umgestellt haben. Und das Alles für Lau, Freitag kurz vor Feierabend, mit einem herzlichen Lachen.
Das Menü spricht also Deutsch, die Entertainment-Abteilung ist bereit - und ich mache mich, nicht ohne einen gewissen Frust, erstmal auf den Weg zu meinen verspäteten, mittäglichen Köttbullar.
Das Kennenlernen
Wäre mein Auto eine Tinder-Bekanntschaft, ich hätte nach den ersten Metern mit nicht mehr als jemals ein Küsschen auf die Wange gerechnet. Zu viele Makel zum Start und auch irgendwie zu edel. Eigentlich ja nicht mein Typ.
Die Achtgang-Automatik arbeitet im Standardmodus unauffällig und beschleunigt unseren 163 PS starken Wagen (der also die schwächste Motorisierung der XE-Reihe aufweist, im Gegensatz zum erst geblockten Fahrzeug - das hätte den 20d gehabt...) im etwas über 8 Sekunden auf hundert, wenn wir den letzten Rest denn abrufen würden. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen uns sachte aneinander gewöhnen.
Die Lenkradheizung schmeichelt meinen Händen, die Automaten-Cola aus der Fastfoodkette dagegen sicherlich nicht meiner Figur - was ist aus mir geworden, seit meine Freundin nicht mehr mitfährt...
Bei IKEA habe ich dann eine Bekannte getroffen.
"Wie kommst Du nach Hause?"
"Mit dem Bus, wahrscheinlich. Habe ihn aber verpasst..."
"Ach, komm' mit rüber, ich fahr doch sowieso in die Stadt"
Unauffällig sieht der Wagen aus. Mit ein bisschen Fantasie könnte es ein Mazda sein. Gleichzeitig macht ihn sein graues Antlitz aber durchaus edel. Und Details, die dann seine Exklusivität doch noch offenbaren, gibt es trotzdem:
Die Reaktionen
"Danke für's mitnehmen. Hast Du wieder ein Leihauto?"
"Ja, will doch am Wochenende zu meiner Familie. Fahre schon morgen los, zu meinem Opa."
"Oh, der freut sich bestimmt."
"Klar, ich glaube, der wollte auch schon immer 'sowas' fahren..."
"Ach, Männer sind da doch alle gleich... Was ist das denn für'n Auto? Mercedes oder so?"
"Nee, ein Jaguar."
"'N Jaguar? Jetzt foppst Du mich aber... Hast Du Dein Urlaubsgeld verbraten?"
"Nee, ist ja nur ein Kleiner."
"Aber echt, 'n Jaguar?"
"Ja, schau mal auf's Lenkrad."
"Stimmt. Da ist ja dieser Puma."
Und, tatsächlich. Bis auf das Wildtier auf dem Steuerruder hätte man nur beim Anlassen das Logo auf dem Media-Display oder ein kleines Emblem in der Mitte unter der Frontscheibe entdecken können.
Allgemein, ich hätte mit den ersten Kilometern wahrscheinlich meinen Opa enttäuscht. Ist das wirklich ein Jaguar?
"Ciao, mach's gut. Und nimm' das alles nicht so schwer. Meine Mitbewohnerin hat übrigens nach Dir gefragt..."
"Richte ihr Grüße aus. Und sag' ihr, ich fahr' jetzt Jaguar."
Anscheinend ist der XE kein ganz unangenehmer Begleiter für mich. Nicht wegen englischer Exklusivität - ich trage ja auch keine Tweed-Sakkos - sondern wegen eines gewaltigen Vorteils: Understatement.
Auf dem Heck steht alles, was das Auto von sich preisgibt. Und mein Nachbar fragte mich Abends:
"Woah, X-E? Und das blaue E? Ist das so ein Hybrid oder fährt der komplett elektrisch?"
"Hab' mich auch schon gewundert, aber das ist nur Marketing. Ist ein normaler Diesel."
"Nee, echt? Also, nichtmal Hilfsmotor?"
"Hab' ihn zumindest nicht zum laufen bekommen. Ist ein Diesel."
"Pah... Jetzt dachte ich, Du wirst so'n Grüner!"
Wie auch immer man bei Jaguar auf E-Performance kam: Coup des Jahrhunderts.
Aber: In den Tank kommt nur Diesel und in den Kofferraum kommt AdBlue.
In den Wischwasserbehälter kommen übrigens zwei Liter Fehlmenge, aber das macht das momentane Bild von Sixt nur komplett.
Der Ausflug
Am Samstag haben sich dann zusammen fast 100 Jahre auf den Weg gemacht - und es war ein stolzes Ralleyteam im Auto. Mit Atlas, Karte und zwei Sonnenbrillen, wie in alten Zeiten, haben wir uns durch den Landstraßendschungel bis in den Harz vorgetastet bevor wir nach einer mittäglichen Einkehr einen großen Bogen bis in meine neue Heimat geschlagen haben, um rechtzeitig zum Abendbrot wieder zuhause zu sein.
Die Landschaft und das Wetter, Gespräche über meine Kindheit und die Kindheit meines Großvaters, über unsere Familie und über Gott und die Welt.
Dörfer zogen an uns vorbei, die Straßen wurden besser, die Straßen wurden schlechter.
Unterwegs war unser Wegweiser die Sonne, Hinweisschilder und kleine, idyllische Sträßchen, die uns zu besonderen Plätzen brachten.
Das Fahrprogramm "Sport" und das Getriebe auf Stufe "S" sorgten für schleunigen Vortrieb, an einer oder zwei Kreuzungen für ein ausbrechendes Heck und quietschende Reifen - unser Fahrstil, die Route und das Überholen auf den engen Landstraßen brachten einen Durchschnittsverbrauch von 8,32 Litern Diesel ein.
Ich fahre umsichtig, vorsichtig, wenn es die Verkehrslage erlaubt auch zehn Kilometer über dem Limit - und für eine gewiss trügerische Sicherheit sorgten die Assistenzsysteme des Jaguar: Licht einschalten, Scheibenwischer bedienen, Spuren halten, Abstand regeln, Tempo beachten - alles funktioniert auch automatisch, sofern man das möchte.
Apropos Licht: Bi-Xenon-Scheinwerfer mit adaptivem Kurvenlicht sorgten für makellose Ausleuchtung der Strecke.
Das Fazit
Falls mein Großvater auf den Geschmack käme, müsste er für das Fahrzeug beim Händler einen Bruttolistenpreis von 51.430 Euro zahlen.
Dafür müsste er damit leben, dass die Sitzheizung nur über das Radiodisplay gesteuert werden kann.
Ansonsten erhält er ein ausreichend motorisiertes, bei entsprechender Fahrweise mittelmäßig sparsames Fahrzeug mit allen gängigen Assistenzsystemen.
Sicherlich, die Fahrt mit dem Jaguar macht Spaß. Natürlich, ein Kofferraum ist auch bei einem Jaguar vorhanden und ja, er schluckt einen IKEA-Kinder-Krümelholztisch und zwei dieser blauen, unzerstörbaren Tüten. Vier Personen können mit wenig Gepäck eine mittlere Autobahnstrecke komfortabel bewältigen, der Fahrer wird sich dabei eventuell einen stärkeren Motor wünschen.
Klar, man kann den Jaguar an der Straße parken und von seiner Rückfahrkamera profitieren, die über vierenhalb Meter Blech in eine Lücke lotsen. Aber - will man das?
Alltagstauglichkeit mag ich 'meinem' Jaguar nicht absprechen. Aber attestieren kann ich sie ihm auch nicht. Zumindest nicht für meinen Anwendungsbereich.
Danke, Jaguar.
Und Danke, Opa.
Sixt zeigt sich hier flexibel wie eine Brechstange. Auf meiner Abrechnung war zusätzlich noch eine (ungerechtfertigte) Umbuchungsgebühr aufgeführt, die - ohne Worte des Bedauerns - auf den Cent genau vom SMT gelöscht wurde. Kein Euro Kulanz.
Preiserhöhungen, Kilometerbegrenzungen, Verkaufsveranstaltungen wie bei Bodenreinigungsgeräten. Ich erkenne Sixt, gerade in Erfurt, nicht wieder.
Mein Arbeitgeber hat mich am Freitag zu Hertz geschickt. Und ich hatte ein nettes Gespräch. Über meine Erfahrungen mit Hertz, meine Ansprüche an ein Fahrzeug und - ich bin über's Wochenende zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder ein Hertz-Fahrzeug gefahren. Es war kein Jaguar. Kein BMW. Kein Mercedes. Aber es hat meinen Ansprüchen genügt, weil ich es mir selbst auf dem Hof aussuchen konnte. Und - mit weniger als der Hälfte des Preises von Sixt habe ich bis heute Morgen unbegrenzte Kilometer abgefahren. Wenn sich mittelfristig die Firmenpolitik in Pullach so manifestiert, weiß ich, wem ich wieder mehr Chancen einräumen sollte.