Jaguar will in der Mittelklasse neu angreifen. Ausgerechnet Jaguar, ein Hersteller, dessen bisher einziges Angebot in dieser Klasse von 2001 bis 2009 der grauenhafte X-Type war, der - ich bin versucht zu sagen: Zum Gück - bald auch ohne direkten Nachfolger wieder in der Versenkung verschwand, obwohl er wirtschaftlich kein Verlustgeschäft für Jaguar war.
Nun sind seit dem Ende des unrühmlichen X-Type einige Jahre vergangen, Jaguar hat sich neu erfunden und gefällt sich mittlerweile in der Rolle des Bösewichts der Automobilbranche. Da erscheint es nur logisch, das Produktangebot über die alten Kernkompetenzen - große Limousinen und Sportwagen - hinaus auszubauen, was soweit geht, dass schon bald auch ein erster SUV von Jaguar erscheinen wird. Ein neuer Versuch, die Mittelklasse zu erobern, darf da nicht fehlen.
Doch kann der XE insbesondere unter der deutschen Konkurrenz Angst und Schrecken verbreiten?
Bereits Ende Juni hatte mich der örtliche Jaguar-Händler zur Präsentation des XE eingeladen, die leider an einem Samstag stattfand, an dem ich keine Zeit dafür hatte. So kam ich mit dem Autohaus schnell überein, dass ich einige Tage später unter der Woche vorbeikommen würde, was sich als sehr guter Plan herausstellte: So konnten mir beide Vorführwagen zur Verfügung gestellt werden, die ich dann auch den ganzen Nachmittag über und nicht nur für eine halbe Stunde fahren konnte. Herzlichen Dank an dieser Stelle für diese Möglichkeit an das Jaguar House Freiburg!
Der XE S mit dem 340 PS-V6, der mich natürlich ganz besonders interessiert hatte, war zum Zeitpunkt meiner Probefahrten leider noch nicht geliefert worden, sodass ich nur mit einem XE 20d (180 PS-Diesel) und einem XE 20t (200 PS-Benziner) das Vergnügen hatte. Beide Motoren, die komplett aus Aluminium bestehen, entstammen Jaguars neu entwickelter Ingenium-Baureihe und kommen im XE zum ersten Mal zum Einsatz. Zum Verbrauch beider Motoren kann ich leider nicht wirklich viel sagen, da ich bei beiden Fahrzeugen nicht nachtanken musste.
Der Motor ist allerdings nicht die einzige Neuheit im XE: Das Fahrzeug steht auf einer ebenfalls vollständig neu konstruierten Plattform, die ebenso wie die Karosserie zu großen Teilen aus Aluminium besteht, aber trotzdem äußerst verwindungssteif sein soll. Gerade die Alukarosserie ist zumindest in der Mittelklasse eine Neuheit; es wird sehr deutlich, dass Jaguar bei der Entwicklung des XE hohen Wert auf Leichtbau gelegt hat - beworben wird er sogar als das leichteste Fahrzeug seiner Klasse. Da der XE in der Basis-Ausstattung gerade einmal 1.475 kg wiegt ist diese Werbeaussage auch nicht allzu weit dahergeholt, dass ein gut ausgestatteter XE deutlich schwerer werden wird steht natürlich auf einem anderen Blatt. Das tatsächlich recht geringe Gewicht des XE lässt sich auch leicht erfahren: Gerade in Verbindung mit dem Sportfahrwerk ist es eine einzige Freude, den XE durch einige Kurven inmitten von Weinbergen zu treiben. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass ein 3er mit M-Paket das kein bisschen besser kann.
Ähnlich wie etwa BMW bietet Jaguar den XE in vier verschiedenen Modellen (oder um es mit BMW zu sagen: „Lines“) an: Während der „Pure“ das Einstiegsmodell darstellt, bleibt die besonders sportliche „S“-Ausstattung dem Sechszylinder-Benziner vorbehalten. Prestige und R-Sport sind die mittleren Ausstattungsvarianten, die erstgenannte ist eher luxuriös orientiert, R-Sport entspricht in etwa einem M-Paket. Darüber rangiert noch das Portfolio-Modell, das gegen einen nicht zu geringen Aufpreis besonders viel Ausstattung verspricht.
Testen konnte ich im Diesel die Prestige-Ausstattung, während der Benziner als R-Sport konfiguriert war. Generell lässt sich festhalten, dass der 20d etwas besser ausgestattet war, so fehlten beim 20t Details wie das HUD oder der Einparkassistent.
Exterieur
Von außen präsentiert sich der XE sehr schlank und sportlich, aber auch leicht konservativ. Man merkt schnell, dass der XE keine Designrevolution darstellen, sondern nur das bekannte Jaguar-Design der letzten Jahre weiterführen soll. Insbesondere finden sich viele, vom XF schon bekannte Details, die nur leicht weiterentwickelt wurden. Besonders hübsch wirken dabei die langgezogene Motorhaube und die fast schon coupéartige Dachlinie - den Passagieren auf der Rückbank wird sie aber vielleicht weniger gut gefallen. Am Heck findet sich mit den rundlichen Elementen in den Rückleuchten noch ein weiteres mit dem F-Type eingeführtes Designelement von Jaguar, das sogar eine kleine Hommage an den E-Type darstellt.
Die R-Sport-Ausstattungslinie schärft den äußeren Auftritt noch etwas weiter.
Viel besser als mit Worten lässt sich der äußere Eindruck aber natürlich mit Bildern beschreiben!
Interieur
Innen fällt als erstes auf, wie tief man im XE sitzt - in einem 3er oder einer C-Klasse sitzt man zumindest gefühlt deutlich höher über der Straße. Dazu kommt, dass das gesamte Cockpit recht eng um den Fahrer herum geschnitten ist. Mir gefällt es sehr, dass der XE den Fahrer so eng einpackt, es wird aber sicher auch viele geben, die sich mehr Platz wünschen werden. Selbst für meinen Geschmack wollte aber das Schiebedach im 20d etwas zu sehr auf Tuchfühlung gehen, da es viele wertvolle Zentimeter der Kopffreiheit raubt. Auffällig - wenn auch kein wirklicher Anlass für Kritik - ist weiterhin, dass die Bedieneinheiten für Radio bzw. Musik und Tempomat auf dem Lenkrad im Vergleich zu deutschen Fahrzeugen vertauscht sind.
Sehr positiv können dagegen eine ganze Reihe an Design-Elementen auffallen, die den Innenraum schön gestalten. Insbesondere der sogenannte „riva hoop“, eine durchgehende Zierleiste unterhalb der Windschutzscheibe, gefällt mir sehr. Sie bringt ein wenig Yacht-Atmosphäre in den XE, sodass man sich fast schon fühlen kann, als habe man gerade in einer der klassischen, hocheleganten Riva-Yachten Platz genommen. Auch der bekannte Jaguar Drive Selector wird als optisch ansprechender Automatikwahlhebel beibehalten. Im XE bietet Jaguar zum ersten Mal seit langem wieder ein Schaltgetriebe an, es wird interessant sein zu sehen, wie der - sicher deutlich größere - Schalthebel dann in den Innenraum integriert wird.
Verbaut waren im 20d die Portfolio-Ledersitze in einem schönen Braunton und im 20t die schwarzen Sport-Ledersitze des R-Sport. Bei der Lederqualität scheint Jaguar im Vergleich zum XF zugelegt zu haben, sofern sich das bei Fahrzeugen, die erst 2.000 bzw. 400 km auf dem Tacho stehen haben schon beurteilen lässt. Beide Sitze sind aber sehr bequem und lassen sich vielfältig elektrisch einstellen. Ganz besonders gut haben mir die Sportsitze gefallen, die guten Seitenhalt bieten und hervorragenden Komfort für längere Strecken versprechen.
Britischer Humor wird auch unter der neuen indischen Kolonialherrschaft bei Jaguar groß geschrieben. Nicht anders kann ich mir die Rückbank erklären, die schon kaum mehr wirklich nutzbar ist, wenn ich den Fahrersitz für mich passend einstelle - dabei bin ich mit meinen 1.85 m kein wirklicher Riese. Dazu kommt für die armen Gestalten, die auf der Rückbank Platz nehmen dürfen das über ihren Köpfen schon weit heruntergezogene Dach. Spätestens dann, wenn der Versuch unternommen wird, drei Personen hinten mitzunehmen dürfte Unmut aufkommen. Das trägt nur weiter zu dem Eindruck bei, dass der XE eigentlich ein für maximal zwei Personen gedachtes Auto ist.
Infotainment
Einer der Hauptkritikpunkte bei früheren Jaguar-Modellen war stets das Navigationssystem. Jaguar hat sich diese Kritik zu Herzen genommen und stellt mit dem XE ein neues Infotainment-System vor, das auch über vielfältige Online-Anbindungen verfügt, die ich bei meinen Probefahrten aber nicht ausprobieren konnte. Beim neuen System handelt es sich um einen 8 Zoll-Touchscreen, der durch mehrere große Menütasten am Rand ergänzt wird. Ein größeres 10 Zoll-Display soll in Kürze mit dem neuen XF debütieren, dann ausschließlich auf den Touchscreen setzen und auch im XE verfügbar sein. Das System ist an sich gut gemacht, kann aber leider die grundlegenden Probleme eines Touchscreens auch nicht beheben. Im Navigationssystem nur ein- und auszoomen zu können, indem zwei kleine Felder auf dem Touchscreen gedrückt werden, nervt schon gewaltig. Die Kartenansicht gefällt aber, zudem lässt sich das System generell recht leicht bedienen. Dazu kommt, dass das Navi leider immer noch recht langsam ist und sich häufig nach Eingabe eines Buchstabens eine Gedenksekunde genehmigt, bevor es weitergeht.
Negativ aufgefallen ist mir aber vor allem, dass das System Schwierigkeiten damit hat, Musik von Spotify auf dem iPhone per Bluetooth oder USB wiederzugeben. Zwar spielt es die Playlisten anfangs problemlos ab, sobald man aber zum nächsten Titel wechseln möchte springt das System immer in die iTunes-Musikapp. Lösen ließ sich dieses Ärgernis schließlich nur mit dem AUX-Kabel. Das sollte bei einem neuentwickelten Infotainmentsystem eigentlich aber nicht mehr erforderlich sein, der Kunde sollte schon erwarten dürfen, dass iPhone und Spotify (was beides nun wirklich keine Nischenprodukte sind) problemlos mit dem System gemeinsam funktionieren.
Schade auch, dass zwischen Tacho und Drehzahlmesser immer noch das alte Bordcomputer-Display verbaut ist, das so auch aus dem XF und dem F-Type bekannt ist. Dieser Bordcomputer wirkt nicht nur von seiner Aufmachung her fürchterlich altbacken, er ist auch gelinde gesagt leicht unlogisch aufgebaut und schwer zu bedienen. Hier hat Jaguar die Chance vertan, mit dem Infotainment gleichzeitig auch noch den Bordcomputer zu renovieren! Die Meridian-Anlage, die in beiden Fahrzeugen verbaut war, klingt aber super und ist ihr Geld sicher wert.
Die - teilweise nur im 20d verbauten - Assistenzsysteme, vor allem HUD und Einparkassistent, überzeugen jedoch. Das HUD lässt sich zwar mit Sonnenbrille etwas schwer ablesen, ansonsten hält es aber ganz ähnliche Informationen bereit wie das BMW-HUD. Der Einparkassistent beherrscht sowohl quer als auch längs einparken tadellos.
Fahreindruck
Der XE ist mit einem Heckantrieb ausgestattet, wie es für einen Jaguar auch nicht anders gehört. Gerade das sportlich abgestimmte Fahrwerk des R-Sport macht unglaublich viel Spaß. In Verbindung mit der recht kompakten, leichten Karosserie liebt der XE Kurven geradezu! Auf der Landstraße unterwegs zu sein ist mit dem Sportfahrwerk also eine wahre Freude, wieviel davon nach mehreren hundert Kilometern am Stück auf der Autobahn noch übrig bleibt bleibt abzuwarten. Selbst mit dem hier verbauten, 200 PS starken 20t-Motor finde ich die Gesamtabstimmung des Fahrzeugs schon sehr gut und für den Alltag absolut ausreichend. Ein Grund dafür ist auch die neue elektrische Lenkung, die sehr direkt agiert und im Vergleich zu den früheren Lenkungen von Jaguar, etwas aus dem XF, eine deutliche Verbesserung darstellt. Der XE S dürfte in Sachen Sportlichkeit aber nochmal zulegen und dafür sorgen, dass sich 340i, S4 und Konsorten in Zukunft doch etwas wärmer anziehen müssen.
Alltagstauglichkeit wird auch beim 20d, also dem 180 PS-Diesel, groß geschrieben. Der Motor ist für mein Empfinden schon sehr kräftig und harmoniert wunderbar mit der bekannten 8 Gang-Automatik von ZF. Gerade im Sport-Modus hält der Motor auch stets ausreichende Reserven bereit, um auf der Landstraße problemlos zu überholen, der D-Modus ist aber eher auf komfortables, sparsames Fahren ausgelegt. Der ganz neue Dieselmotor dürfte auch mit einem recht niedrigen Verbrauch aufwarten können, zum Verbrauch kann ich aber wie oben erwähnt leider keine Angaben machen. Vom Fahrverhalten her kann aber auch das Standardfahrwerk absolut überzeugen, sowohl auf der Landstraße als auch bei Autobahnetappen bei bis zu 160 km/h (schneller ging es auf der vollen A5 leider nicht...).
Fazit
Jaguar ist mit dem XE ein großer Wurf gelungen. Man merkt, wie viel investiert wurde, um bisherige Unannehmlichkeiten zu beseitigen und ein Fahrzeug zu entwickeln, dass in der Mittelklasse ganz vorne mitspielen kann. Das Außendesign ist meines Erachtens das beste, das derzeit in der Mittelklasse angeboten wird - bei anderen Neuvorstellungen wie etwa dem Audi A4 dürfte sich daran in der nächsten Zeit auch nicht viel ändern. Der Innenraum ist ebenfalls gut gelungen, deutliche Kritik gibt es aber, was das Infotainment angeht. Das können andere, gerade BMW, wesentlich besser und werden so bald auch nicht von Jaguar vom Thron gestoßen werden. Andere Hersteller haben Jaguar auch zumindest etwas mehr Platz auf der Rückbank voraus. Das Fahrverhalten ist dagegen auf der Höhe Zeit, sowohl in dem komfortablen Modelln als auch in der Sportversion.
Zum Abschluss des Tests breche ich mal das MWT-Sakrileg und behaupte, dass Jaguar den besseren 3er kreiert hat. Die Kombination aus Sportlichkeit, Komfort und Design ist Jaguar meines Erachtens besser gelungen als BMW mit dem F30. Sollte in den nächsten Jahren ein Privatfahrzeug aus dieser Klasse für mich in Betracht kommen, halte ich (zumindest ganz subjektiv für mich) den Jaguar für das attraktivere Angebot.
Ich freue mich aber auch sehr, dass Sixt den XE schon einflottet und hoffe, demnächst mal ein schönes Exemplar auch für längere Zeit als nur einen Tag in die Finger kriegen zu können!