Die S-Klasse der Baureihe 222 war das erste Auto der vom Kraftfahr-Bundesamt als "Oberklasse" bezeichneten Fahrzeuge, das ich in meinem Leben gefahren bin. OK, es gab da einen kurzen Ausflug mit einem Jaguar XJ, aber der war schnell beendet, als er mir auf der Autobahn "Motorleistung begrenzt" anzeigte. Ganz anders das Wochenende mit der S-Klasse in der Langversion. Wir fuhren mit einem befreundeten Paar von Dresden nach Hamburg und ich war das erste Mal in meinem Leben nach der Fahrt erholter als ich es bei Einstieg war. Spätestens dann war es um mich geschehen und vorbei war die Zeit des "Hauptsache günstig" Mietens. Es folgten noch weitere S-Klassen und jedes Mal stellte sich Begeisterung für dieses Auto ein. Diese Strahlkraft, diese Ruhe, diese Entspannung - so auftragend und kraftvoll eine Fahrt in einem 7er ist, so geil es ist, wenn dich in einem 911er der Motor von hinten anbrüllt, wenn du auf die Autobahn beschleunigst, die S-Klassefahrten waren immer besonders.
Um so gespannter war ich auf die aktuelle Baureihe 223 und um so enttäuschter war ich ob der Zankerei zwischen Sixt und Mercedes, weshalb es deutlich länger dauerte als erwartet, bis sich die Gelegenheit endlich bot, ein solches Fahrzeug zu fahren.
Die Gelegenheit kam dann, als MB Rent mich im August 4 Tage vor geplanter Abholung anrief und mir mitteilte, dass das reservierte E450 Cabrio verunfallt sei. Man bot mir ein paar kostenfreie Alternativen bzw. Vergünstigungen auf andere Fahrzeuge an, jedoch nix wollte mir zusagen, aber ich erkundigte mich nach der Möglichkeit den "Entschuldigungsrabatt" auf später zu verschieben. Wohlwissend, dass anstrengende Wochen vor uns lagen auf Grund Umzug, Renovierung, hin und her gefahre usw. dachte ich mir, dass man die Gelegenheit doch nutzen könne um Ende Oktober nach dem ganzen Stress ein entspanntes Wochenende im Norden zu verbringen und was wäre dafür besser geeignet als eine S-Klasse? Also nachgefragt und tatsächlich wurde mir eine S500 für immer noch viel zu viel Geld nach Vorpandemiemaßstäben, aber zumindest für weniger als auf der offiziellen Preisliste vermerkt zugesichert.
Tja und dann kam der langersehnte Tag und was soll ich sagen - ich bin leider enttäuscht. Aber der Reihe nach.
Los ging es damit, dass wir pünktlich 8 Uhr in der imposanten Angeberniederlassung von Mercedes am Salzufer in Berlin auftauchten und da stand auch schon eine S500 da und die Vorfreude stieg. Am Schalter angekommen, wunderte sich die sehr freundliche Mitarbeiterin, warum wir schon da sind, die Abholung wäre für 12 Uhr vermerkt. Die Buchung war Ende August händisch eingetragen worden, also suchte ich die Mail heraus, in welcher mir der Mitarbeiter die Reservierung für 8 Uhr bestätigte und zeigte sie vor. Sie reagierte schnell und rief an anderer Stelle an und wies einen Kollegen an, die S-Klasse schnellstmöglich aufzubereiten. Ich fragte nach der vorn stehenden, die war aber schon anderweitig verplant.
Nun gut, das kann passieren, der Vertrag wurde schon aufgesetzt und um etwas Geduld gebeten, der Rabatt war zwar auch nicht hinterlegt, aber wurde angepasst, aber dann stand da S400d. Hm - ein anderer Wagen wäre nicht verfügbar, bei ihr stand auf der Liste S400d (was auch stimmte). Gut, da der 500er kein 8 Zylinder mehr ist, war ich da weniger verärgert und akzeptierte diesen Umstand angesichts der Spritpreise.
Naja, ich quatsche und quatsche, jetzt erst Mal was zum gucken (ein kleiner Hinweis an der Stelle: habe nur mit dem Handy Photos gemacht, die Kamera lag noch in irgendeiner Umzugskiste zu dem Zeitpunkt).
Da stand sie nun, die neue S-Klasse. Nach wie vor ein beeindruckender Auftritt meiner Meinung nach. Mir persönlich gefallen die v.a. bei E- und S-Klasse recht schmal gewordenen Frontscheinwerfer nicht so sehr oder ich muss mich noch daran gewöhnen. Nichtsdestotrotz immer noch ein schönes Auto und ein Blickfang. Nicht nur einmal wurden wir näher in Augenschein genommen.
Bleiben wir beim Exterieur.
Wie gesagt, nach wie vor beeindruckend. Etwas runder, moderner, aber trotzdem immer noch klassisch elegant. Und nach wie vor ein Schiff.
Automobile Gegensätze
Die Front ist mächtig im Auftritt, der noch größere Grill sorgt für ausreichend Spurräumerqualitäten.
Die heruntergezogenen Heckleuchten sind Geschmackssache, mir gefällt es ganz gut. Ein Auto, auch schön zum Hinterhergucken.
Dass die Türgriffe einfahren, ist recht edel. Vor allem fühlt man sich gleich richtig wichtig, wenn man sich dem Auto mit dem Schlüssel in der Tasche nähert und die Griffe ausfahren und der Wagen vermittelt - "Willkommen Meister".
Soweit so gut - die S-Klasse ist also von außen nach wie vor ein Hingucker und ein schönes Auto. Wie sieht es also innen aus und noch viel wichtiger, wie lässt sie sich bedienen und fahren? Eins nach dem anderen.
Das Cockpit ist bekanntlich rundum erneuert. Da erinnert kaum noch etwas an die alte eher aristokratische Eleganz. Sofort fällt einem der riesige Bildschirm in der Mittelkonsole auf. Das macht schon Mal Eindruck.
Das Lenkrad hat jetzt die viel diskutierte vierspeichige Aufteilung der Bedienelemente. Zu deren Handhabung später mehr.
Der Bildschirm hinter dem Lenkrad ist gut ablesbar, bietet die mercedestypischen Einstellungsmöglichkeiten und ist ebenso wie der zentrale Bildschirm hervorragend aufgelöst.
Wenn man dann den Blick durchs Auto schweifen lässt, ist schnell klar, wo man sich befindet. Raum ohne Ende. Das ist einfach beeindruckend, wie weit das alles wirkt.
Die Photos ruhig Mal im Vollbild anschauen
Dazu kommen wirklich schicke Designelemente, mit teilweise ungewöhnlichen Lösungen, wie dem Drehschalter für das Licht an der Tür (aber hey, es ist ein richtiger Schalter). Die Lüftungsschlitze gefallen ja nicht jedem, ich finde es sehr edel gelöst. Überhaupt die fast bootsartige weite Fläche auf der Beifahrerseite - das hat was. Das gesteppte Leder würde ich mir so auch konfigurieren.
Lichtenthusiasten können sich austoben ohne Ende. Überall gibt es kleine Elemente, hier noch ein wenig Licht, da noch ein bisschen Animation, da ist für jeden was dabei, bis zur fast karikaturhaften Überzeichnung.
Jetzt kommen wir aber zu den ersten Kritikpunkten. Laut Mitarbeiter von MB Rent hatte der Wagen einen BLP von 146.203 Euro. Und dann wird dort so ein Griff verbaut.
Klar sieht man den kaum, aber man fasst ihn dann doch jede Autofahrt an, zumindest ja Mal zweimal und dann möchte ich als jemand, der in einem Fahrzeug sitzt welches wertmäßig dem mehr als dreifachen Median Jahresbruttoeinkommen in Deutschland entspricht, nicht an so ein Hartplastikteil fassen.
Und dieser Blödsinn zieht sich weiter. Schicke belederte Armablage, gigantischer hochauflösender Bildschirm und dazwischen eine Glanzplastikwüste sondersgleichen. Mit Fingerabdrücken auf einem Bildschirm kann ich mich noch ein wenig anfreunden, hat man halt immer ein Brillenputztuch zur Hand. Aber ich will nicht nach jeder Fahrt erst Mal das ganze Cockpit reinigen müssen.
Und wenn es dann wenigstens ordentlich verarbeitet wäre, aber solche Grate in einem Luxuswagen? Das ist peinlich.
Dass man sich hier im Luxussegment bewegt, merkt man dann, wenn man sich Mal durch die Menüs wischt und dann mehrere rund 10 Minütige Relaxprogramme findet. Und jetzt kann man darüber lachen oder nicht, mich begeistert sowas. Es gab zwar leicht irritierte Blicke einer Nachbarin, die ihren Hund noch spät ausführte während wir am Ende unseres Wochenendes nach dem Kinobesuch vor dem Haus standen und eine Lichtshow, inkl. Spamusik genossen, die Sitze nach hinten gelegt und uns durchkneten und rütteln ließen. Rütteln? Ja die neuen Sitze haben nicht nur die bekannten Knetpunkte, sondern auch einen Vibrationsmodus. Mal eine andere Art des Eierschaukelns.
Wie aber ist also das neue Bedienkonzept, über Licht und Entspannung hinaus, kann das überzeugen? Ich würde sagen, in größeren Teil ja, aber es gibt zu viele Schwachstellen, die nicht sein dürfen. Zunächst zum Positiven.
Der zentrale Bildschirm als Hauptbedieneinheit ist nach kurzer Eingewöhnung sehr gut und extrem flüssig bedienbar. Am Anfang war ich etwas verärgert, dass ich keinen Schnellknopf mehr für die Massagesitze habe und auch für andere Sachen mich erst durch X Untermenüs wählen muss, aber zum einen kann die Sprachbedienung schon sehr viel und zum anderen hat Mercedes hier etwas entscheidendes gemacht, wo ich bei Audi nicht verstehe, warum sie das nicht bei dem zweiten unteren Bildschirm haben - frei konfigurierbare Favoriten.
Dadurch, dass der Bildschirm so riesig ist, kann man da jede Menge hinterlegen, so dass man schnellen Zugriff auf alle individuell bevorzugten Funktionen hat. Das gefällt. Auch die Umsetzung von Androidauto ist hier auf einem eigenen Level umgesetzt. Habe jetzt die Nutzung einzelner Apps nicht großartig ausprobiert, aber alles hat erst Mal einen guten Eindruck hinterlassen.
Leider leider war in dem Fahrzeug nur das kleine HUD verbaut. Dadurch konnte ich einen der interessantesten neuen Punkte nicht ausprobieren, nämlich die Augmented Reality im HUD, daher werde ich auf selbiges nicht großartig eingehen. V.a. weil es nicht ordentlich kalibriert und damit die ganze Zeit unscharf war. Hatte ja kurz darauf den Citroën C3 Aircross, da war auf der Plastikscheibe alles knackig. Mehr Diss geht ja kaum.
Augmented Reality gab es trotzdem ein wenig und obwohl ich es schon aus CLA und GLB kannte, war es in Kombination mit dem riesigen Bildschirm noch Mal beeindruckender in der S-Klasse. Und es ist nicht nur ein Angebergimick, sondern wirklich hilfreich. Sei es die Navigationshilfe, in der flüssig ins Livebild Richtungspfeile projiziert werden oder auch die Ampelkamera, die sehr angenehm ist, wenn man ganz vorn in der Schlange steht.
Vorbildlich in der Pandemiebekämpfung
Und ebenfalls verbaut war das intelligente Licht, welches bestimmte Situationen erkennt und entsprechend das Licht anpasst. Leider haben wir es nicht geschafft, davon Photos zu machen, weil wir auf der Autobahn nur tagsüber unterwegs waren und nur bei einer kurzen Baustelle in der Stadt plötzlich den kleinen Bagger vor uns hatten. Außerdem zog das Licht dann eine Art Schneise, um die schmalere Baustellenspur expliziter auszuleuchten. Das würde ich gerne Mal länger auf der Autobahn sehen, hat aber erst Mal beeindruckt.
Jetzt zu einem Punkt auf den ich explizit angesprochen wurde - die Bedienung des Lenkrads. Kurze Version für dich Bierteufel : beschissen.
Etwas differenzierter betrachtet: die untere Einheit lässt sich ganz ganz gut bedienen, d.h. rechts die Lautstärke, Telefon und der Favoritenknopf und links der adaptive Tempomat. Der Grund warum es oben ne Katastrophe ist, liegt darin, dass man dort auf beiden Seiten ein Steuerkreuz hat, welches mich zur Weißglut brachte. Man drückt hier nicht in die gewünschte Richtung, sondern muss eine entsprechende Wischbewegung machen. Ich bin ja nun noch nicht so alt, d.h. auch offen für neue Bedienkonzepte, aber dann muss man sie ordentlich umsetzen. Um das Lenkrad ordentlich bedienen zu können, bräuchte es eine eigene Trainingseinheit beim Führerschein. Evtl. klappt es besser mit (viel) mehr Übung, aber ich habe ständig horizontal gewischt wenn ich vertikal wollte und andersherum. Da kann mal das Einstellen eines neuen Radiosenders zur besonders herausfordernden Aufgabe werden. Dass dann alles wieder ebenfalls glänzendes Plastik ist, macht's noch schlimmer. Hier sollte man ganz schnell wieder gegensteuern. Ich will das alte Lenkrad zurück! Knöpfe, Metallelemente und die Wischfunktion intelligent und funktional verbaut. Das ist leider ein klarer Rückschritt im aktuellen Modell. Optisch gefällt das schon mit den Speichen, aber auch nur bis man es angefasst hat.
Jetzt aber endlich ein paar Worte zum fahren und auch wieder erst Mal etwas Positives. Es war soweit ich das erkennen konnte nicht die erweiterte Hinterachslenkung verbaut. Aber trotzdem fährt sich dieses Schiff wie ein Kompaktwagen. Wie ein wahnsinnig mächtiger, ruhiger und kraftvoller Kompaktwagen, denn der Vergleich bezieht sich ausschließlich auf die Wendigkeit. Es gab keinen Parkplatz, keine Kurve, keine Parkhaus-Ausfahrt die ein Problem darstellten. Richtig gut.
Der 400d mit seinen wuchtigen 700 Nm Drehmoment steht ohnehin außerhalb jeglichen Zweifels. In jeder Situation genug Kraft, laufruhig, einfach immer noch ein toller Motor. Am Ende standen 8,2 l auf der Uhr, nach 651 gefahrenen Kilometern, ein ordentlicher Wert, wenn man bedenkt was für ein Gewicht da durch die Gegend bewegt wird und wir sind nicht unbedingt zurückhaltend gefahren. Wenn man genügsamer ist, sollten 6, kein Problem sein.
Bzgl. des Fahrverhaltens ist die S-Klasse also immer noch eine S-Klasse? Zum großen Teil ja. Die beeindruckende Wendigkeit, das unaufgeregte souveräne Beschleunigen - da stellt sich wieder die Eingangs erwähnte Begeisterung ein. Aber dann überschreitet man die 160 km/h und fragt sich, ob alle Fenster zu sind. Leider leider waren die Windgeräusche spätestens ab genannter Geschwindigkeit an der A-Säule extrem präsent. Natürlich habe ich nicht den direkten Vergleich, meine aber, dass das im Vormodell besser war. Ich habe jetzt keine Ahnung, welches Dämmpaket konkret verbaut war, aber noch Mal - über 140k Euro Listenpreis. Selbst wenn hier nur die Basis vorhanden war, so darf das nicht klingen.
Wie ist also mein Fazit? Die Baureihe 223 ist in einigen Dingen nach wie vor eine S-Klasse. Das grundsätzliche Fahrverhalten, der Außenauftritt, das Raumgefühl innen und selbst die Modernisierung mit dem zentralen Megabildschirm stören nicht. Aber trotzdem ist da etwas. Es ist ein deutlich kühleres Ambiente. Das kann man sicherlich durch anderes Ankreuzen in der Ausstattungsliste etwas abändern, aber zumindest das von uns gefahrene Fahrzeug war eher ein Zwischending von BMW und Audi. Das ist schade, denn da fehlt dann etwas. Vielleicht ist das beabsichtigt, irgendwo habe ich neulich gelesen, dass Mercedes bei Jüngeren in Deutschland die beliebteste Marke ist. Es ist ja auch in Ordnung, dass Mercedes sich da modern aufstellen möchte und nicht zu sehr der Vergangenheit hinterher trauert, aber man sollte sich dennoch auch auf alte Tugenden besinnen. Und da muss eine S-Klasse einfach noch ein wenig mehr altmodischen Chic ausstrahlen. Wenn dann noch solche Verarbeitungsmängel bzw. meiner Meinung nach katastrophale Materialauswahl hinzukommen, kann ich das nur schwer nachvollziehen.
Ich hoffe ich konnte ein wenig einen Eindruck vermitteln, dieser ist natürlich subjektiv und ich wünsche mir trotzdem, dass ich künftig noch weitere S-Klassen fahren kann, ggf. mit noch mehr der neuen Gimmicks wie der Gestensteuerung und dem erweiterten HUD, aber leider hat mich die Premiere nicht so sehr mitgerissen, wie ich es erhofft hatte.