Nio ET7 - Konkurrenz zur deutschen E-Auto-Oberklasse?
Hard Facts:
- 100 kWh Batterie mit 653 PS/850 Nm Systemleistung
- 0 – 100km/h in 3,8 sek.
- 200 km/h Höchstgeschwindigkeit
- 5,10 m/1,99 m/1,51 m (L/B/H)
- 2.454 kg Leergewicht
Exterieur:
Das Design des Nio ET7 könnte man als minimalistisch, progressiv und trotzdem recht unauffällig beschreiben. Gleichzeitig wirkt er auch sportlich, mit einem Hauch Eleganz. Beim Einsteigen fallen dann die rahmenlosen Fenster und sanft schließenden Türen mit ausfahrbaren Türgriffen auf.
Auffällig sind von außen auf jeden Fall auch die Sensoren des ET7. Insgesamt sind 33 leistungsstarke Sensoren verbaut, wie z.B. ein Ultralangstrecken-LiDAR, mehrere 8 MP hochauflösende Kameras sowie vier 3 MP dedizierte Kameras mit hoher Sensibilisierung. Zudem hat der Nio noch mehrere Millimeterwellenradare, Ultraschallsensoren und hochpräzise Positionierungseinheiten.
Insgesamt ein schickes und modernes Fahrzeug, welches durchaus die Blicke der Passanten auf sich zieht.
Interieur + Ausstattung:
Im Innenraum empfängt den Fahrer ein klares und aufgeräumtes Design.
Die Sitze sind durchaus gemütlich, wenn auch etwas Seitenhalt fehlt, und verfügen über Massage, Belüftung und Beheizung. Es gibt, vor allem auch im Fond, viel Beinfreiheit. All das in Kombination mit dem großen Panoramaglasdach sorgt für ein beeindruckendes Raumgefühl.
Die wesentlichen Funktionen werden über das vertikal ausgerichtete Center-Display mit 12,8 Zoll gesteuert. An der Mittelkonsole findet man sonst nur einen Schalter für das Einlegen der Gänge und drei Tasten zur Auswahl der Fahrmodi, Aktivierung der Warnblinker und für die Zentralverriegelung. Sonst sucht man Knöpfe vergeblich. Hinter dem Lenkrad befindet sich ein 10,2 Zoll großes Kombiinstrument, welches von einem Head-up-Display ergänzt wird.
Die Ambientebeleuchtung ist vielfältig anpassbar und erlaubt das Beleuchten von Türen, Ablagefächern und Fußraum in unterschiedlichen Farben. Insgesamt stehen jeweils 256 auswählbare Farben zur Verfügung.
Das gefühlt einzige spielerische Element ist Nomi. Ein kugelförmiger Roboter mit einem Bildschirmgesicht, der mit den Insassen interagiert: Spricht man Nomi an - Stichwort "Hi Nomi" - dreht sie sich in die Richtung, aus der sie angesprochenen wird.
Auf Spracheingabe startet Nomi beispielsweise die Navigation. Sie kann die Fenster öffnen oder schließen, die Massagefunktion in den Sitzen aktivieren, sie kann Musik abspielen - und oft untermalt sie optisch was gerade passiert. Und je nach gewähltem Fahrmodus wird dieser von Nomi entsprechend dargestellt.
Grundsätzlich ein lustiges Gimmick, aber Nomi kann auch anders als nett – z.B. wenn man die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht einhält oder nicht aufmerksam genug ist – dann wird man von ihr gerügt. Bei einer Wochenenderfahrung lustig, auf Dauer vielleicht nicht so meins, aber ich denke das ist Geschmackssache.
Eine erste Enttäuschung ist der kleine Kofferraum. Dieser bietet nur 363 Liter Fassungsvermögen. Zum Vergleich: Der Kofferraum des EQS ist mit 610 Litern fast doppelt so groß. Zudem lässt sich beim EQS noch die Rückbank umklappen, was ein Ladevolumen von 1.770 Litern ergibt. Zudem fehlt es dem Nio auch an einem Frunk, sodass im kleinen Kofferraum auch noch die Ladekabel wertvollen Platz wegnehmen.
Guten Sound liefert das „7.1.4 Immersive Sound-System“, das erste seiner Art in einem Auto. Insgesamt 23 Lautsprecher wurden hierfür verbaut. Trotzdem sagen mir da die besseren Soundsysteme (H/K, B/W, Burmester) der deutschen Premiumhersteller mehr zu.
Etwas enttäuschend ist die fehlende Unterstützung von Apple Carplay und Android Auto.
Fahreindruck:
Mit in der Spitze 653 PS und 850 Nm Systemleistung ist man auf jeden Fall ausreichend motorisiert. Sofern man Sport+ als Fahrmodus auswählt und die volle Leistung zur Verfügung steht ist die Beschleunigung auf jeden Fall brutal und man ist nach 3,8 Sekunden auf Landstraßentempo. Autobahnauffahrten und Überholvorgänge sind damit eine Leichtigkeit. Aber auch im Komfortmodus ist die Beschleunigung mehr als anständig und für den Alltag ausreichend. Die Leistung kommt von zwei Motoren. Vorne mit 245 PS und hinten mit 408 PS.
Etwas störend sind mir die sensibel eingestellten Assistenzsysteme aufgefallen. Selbst wenn man alles Mögliche an Signaltönen deaktiviert muss man sich an ein mehr oder weniger regelmäßiges Piepsen gewöhnen. Zudem ist der Fahrspurassistent meinem Empfinden nach etwas zu sensibel eingestellt. Auf engen Landstraßen schwankt man dann teilweise zwischen Warnpiepsern für die linke oder rechte Fahrbahnseite. Sonst bremst der Nio teilweise ohne erkennbaren Grund ab und lenkt nach links oder rechts und führt damit zu Schreckmomenten. Hier bedarf es trotz der vielen Sensoren noch an Feinschliff.
Besonders nervig ist die akustische Warnung, wenn man die erlaubte Geschwindigkeit nur um 1 km/h überschreitet. Besonders wenn man den Pilot auf die erlaubte Geschwindigkeit eingestellt hat und der Nio selber etwas zu schnell fährt. Die Warnung für die Geschwindigkeitsüberschreitung lässt sich deaktivieren, aber aktiviert sich bei jedem Neustart. Zumindest bei dem Systemstand meines Nio. Seit einem neueren Update soll das dauerhafte Deaktivieren möglich sein.
Spannend ist auch die Reichweitenanzeige. Im Fahrerdisplay gibt es dazu zwei unterschiedliche Angaben. Unten links steht eine Reichweite, die das Auto aus dem Ladezustand des Akkus und dem WLTP-Verbrauch errechnet. Oben rechts wird hingegen die mögliche Reichweite "geschätzt". Die beiden Werte unterscheiden sich bisweilen beträchtlich. Die geschätzte Reichweite ist meistens deutlich niedriger und realistischer, hängt aber stark vom zuletzt gemessenen Verbrauch ab. Bei meiner Hypermiling-Fahrt hab ich es aber auch geschafft deutlich mehr „geschätzte“ Reichweite als WLTP-Reichweite zu erzielen.
Kritik gibt es auch für die Verkehrszeichenerkennung. Da liegt der Nio oft daneben und übersieht vor allem die Aufhebung von Tempolimits. Man könnte die Erkennung von Limits fast schon einem Zufallsgenerator überlassen und läge öfter richtig.
Verbrauch:
Mit dem großen 100 kWh Akku stellt Nio für den ET7 eine Reichweite von bis zu 580 Kilometern in Aussicht. Die tatsächliche Reichweite ist dann natürlich sehr von dem gewählten Fahrmodus und der Fahrweise abhängig.
Ein großer Kritikpunkt ist die eher schlechte Ladeleistung für ein Fahrzeug dieser Preisklasse. Laut Nio kann man an Schnellladesäulen mit bis zu 125 kW laden. In der Praxis lag ich bei einem Ladevorgang tatsächlich auch mal bei maximal ca. 120 kW. Man muss aber je nach SoC und weiterer Faktoren eher mit unter 100 kW Ladeleistung rechnen. Das ist im Vergleich zu z. B. einem EQS enttäuschend und mindert die sonst gute Erfahrung.
Auf einer Hypermiling-Fahrt vor Rückgabe habe ich auf einer Strecke von 100 km diesen starken Wert ermitteln können:
Sonst darf man bei entspannter Fahrweise mit 18-20 kWh/100km rechnen.
Insgesamt lag ich bei überwiegend entspannter Fahrwiese mit nur gelegentlicher Nutzung der 653 PS bei einem Verbrauch von 19,9 kWh/100km. Das ist in Anbetracht des Fahrzeugs und der Fahrweise durchaus respektabel.
Fazit:
Der Nio ET7 bietet viel Platz für die Passagiere und Leistung satt. Aufgrund der zahlreichen Komfort-Extras fühlt man sich schnell wohl, wenn es auch teilweise nervige Eigenheiten gibt.
Die Ladeleistung ist zwar grundsätzlich alltagstauglich, aber dürfte bei einem Fahrzeug dieser Preisklasse doch höher ausfallen. Besonders die Beschränkung auf 400-Volt-Technik ist hier ein Problem.
Trotzdem bietet das Fahren mit dem Nio ET7 ein grundsätzlich oberklassiges Fahrgefühl, sodass man über die kleinen Schwächen hinwegsehen kann. Besonders im Hinblick auf den deutlichen Preisunterschied zu EQS, i7 und co.