Das Rad neu erfinden?
Zunächst einmal hoffe ich, dass das Thema hier richtig aufgehoben ist. Vielleicht wäre aber auch ein eigener "Fahrradthread" denkbar. Immerhin gibt es ja einige unter uns, die nicht nur Mietwagen fahren. Zu dieser Gruppe gehöre also auch ich. Seit meiner Kindheit bin ich mehrmals pro Woche mit dem Rad unterwegs gewesen. In manchen Jahren mehr, in manchen Jahren weniger. Seit drei Jahren auch ganzjährig und egal bei welchem Wetter. Dabei besaß ich eigentlich immer nur alte gebrauchte Räder der verschiedensten Formen und Farben. Als vor zwei Jahren mein Tourenrad sprichwörtlich zerfallen ist und sich in seine Einzelteile aufgelöst hat, brauchte ich kurzfristig ein Rad, das mich über die Tage der Suche nach einem neuen Gefährt, mobil hält. Aus den Tagen der Suche sind nun mittlerweile 26 Monate geworden, von denen ich euch gerne kurz berichten möchte.
Swapfiets war damals noch relativ neu und durch die, zugegeben, marketingtechnisch clever genutzten, blauen Vorderräder, war auch meine Neugierde geweckt. Das Niederländische Unternehmen, dessen Name letztlich ein Mix aus Swap - also "Tausch" - und fiets - also "Fahrrad" - darstellt, bietet seit einigen Jahren, zunächst in den Niederlanden, dann auch in andere europäische Länder expandierend, ein Fahrrad-Abo an, dass sich vornehmlich an alle Radler:innen richtet, die nur kurz an einem Ort wohnen, oder aber einfach nur für eine begrenzte Zeit per Rad mobil sein möchten. Dafür stehen mittlerweile 4 Räder zur Verfügung. Zwei E-Bikes und zwei "normale" Stadträder. Dabei kann man dann das "Original" wählen, oder das "Deluxe-7" mit 7 Gängen. Ich entschied mich damals für letzteres, vor allem auch deshalb, weil bis dato gar kein anderes verfügbar war. Produziert werden die Räder offiziell als eigene Marke verkauft. Produzent bleibt aber die Pon-Holding mit Tochtergesellschaften wie "Gazelle" oder "Derby Cycle".
Die Anmeldung verlief denkbar einfach. Daten online eingeben, Startdatum wählen und einen Termin für die Abholung auswählen. In meinem Fall hatte ich Glück, dass es in Dresden bereits damals einen Store direkt in der Altstadt gab. Ansonsten hätte man sich das Rad auch liefern lassen können. Also bin ich, nachdem ich frustriert mein altes Rad nach Hause schob, am selben Tag noch nachmittags in den Swapfiets Store gelaufen und habe mein Deluxe 7 abgeholt. Ich bilde mir ein, dass es noch ganz neu gewesen ist, eventuell war es aber auch nur sehr gut aufbereitet. Und genau das ist das Prinzip und Ideal, was Swapfiets vertritt. Es geht, wie beim Auto-Abo, nicht mehr darum ein eigenes Rad zu besitzen, sondern zu teilen. Die alten oder defekten Räder werden also immer wieder neu aufbereitet und landen dann wieder beim "Swapper". So ein "Swap" verläuft wie die Abholung unkompliziert. Altes oder defektes Rad in den Store bringen, ein neues bekommen, kurz ein zwei Runden um den Block fahren ob alles richtig passt, und schon fährt man wieder auf einem neuen Rad. Alternativ kann man den Swap auch zu Hause durchführen lassen mit einer Terminvereinbarung. Insgesamt habe ich mittlerweile das 8. Fahrrad.
Und damit kommen wir zum größten Kritikpunkt der Geschichte. Der Verarbeitungsqualität. Dass man bei Preisen um die 20 Euro/Monat (je nach Rabatt und Stadt variierend) nicht allzuviel erwarten darf war mir bewusst. Zu Beginn war ich allerdings im Schnitt alle 4-6 Wochen Gast im Store und musste das Rad tauschen. Zwei Mal war es die Bremse, mehrfach die Gangschaltung, einmal das Schloss, einmal eine 8 im Vorderrad, einmal der Dynamo. Mein jetziges Rad habe ich tatsächlich seit mehren Monaten ohne Probleme durchbekommen. Vielleicht hat sich die Verarbeitung über die letzten Monate auch verbessert. Ich bin gespannt auf den kommenden Winter. Denn der letzte war leider zu kalt und verschneit für das "Deluxe 7", was bei Frost und Minustemperaturen mit einer vereisten Gangschaltung quittiert wurde. Also bin ich einige Tage nur mit dem Gang gefahren, der bei Plusgeraden noch eingestellt war. Ein Tausch bringt in dem Fall nichts, da es bei jedem anderen Rad genauso ist. An dem Punkt wurde mir dann klar: Es ist eben nicht für Kunden wie mich ausgelegt, die jeden Tag um die 10 Kilometer, egal bei welchem Wetter, mit dem Rad fahren. Der Verschleiß ist dann natürlich überproportional hoch und entsprechend werden alle Schönwetterfahrenden sicher weniger Probleme oder Defekte haben. Für längere Touren ist es aufgrund des Gewichts und der Bereifung ebenfalls nur bedingt geeignet, da es einfach zu schwerfällig ist. Egal wie trainiert man ist: Die Übersetzung der Gänge sorgt oft dafür, dass man viel überholt wird, weil man einfach nicht schneller vom Fleck kommt. Hat man sich daran ersteinmal gewöhnt, kann man es aber ganz entspannt angehen. Wenn die Lokomotive rollt, dann rollt sie. Und der blaue Reifen sorgt immer für das besondere Etwas in der Außenwelt.
Der blaue Vorderreifen ist aber nicht das einzige Ausstattungsmerkmal. Mit dem "Deluxe 7" bekommt man eine 7-Gang Nexus-Nabenschaltung, Continental-Reifen "Contact Plus", eine LED-Lampe mit Nabendynamo (leider kein Standlicht), einen halbwegs bequemen Sattel, Rücktritt und Schutzbleche. Gesichert wird das Rad über ein Ringschloss direkt am Hinterrad, oder per Kettenschloss, welches ebenfalls am Ringschloss integriert ist. Idealerweise schließt man das Rad mit beiden Systemen ab, da nur so die Diebstahlgebühr von 60 Euro greift. Was mir lange Zeit gefehlt hat, war ein anständiger Gepäckträger. Dieser befindet sich über dem Vorderrad. Für einen geringen Aufpreis, ähnlich wie bei Sixt, kann man mittlerweile auch einen Korb dazu erwerben. Das Fahren selbst macht auf geraden Strecken halbwegs Spaß, für längere Touren sollte man sich lieber eine Flasche Wasser und eine Banane extra mitnehmen, da es dann durchaus anstrengend sein kann.
Die Bremse macht einen ganz guten Job, muss aber alle paar Wochen nachjustiert werden. Die Sitz- und Fahrposition kann natürlich individuell eingestellt werden, insgesamt ist das Rad, bzw. der Rahmen aber für mich etwas zu klein (1,85). Laut Aussage des Stores habe ich aber bereits die größte Größe bekommen. Was wirklich nervt sind die Lenkergriffe. Über die Wochen hinweg fangen sie recht schnell an sich zu zersetzen. Wahrscheinlich habe ich ca. 2% des Materials bereits in meinem Blutkreislauf.
Ansonsten macht das Rad was es soll. Es fährt. Und wenn es das nicht mehr möchte, hat man innerhalb von wenigen Stunden breits ein neues unter'm Hintern und wurde dabei noch freundlich und unkompliziert betreut und beraten. Wohnt man dann noch in einer Stadt mit einer gut ausgebauten Radfahr-Infrastruktur, also nicht in Deutschland, dann kann man für rund 250€ pro Jahr entspannt und bequem von a nach b kommen, ohne sich ständig darüber Sorgen machen zu müssen, ob das Rad, das man am Vorabend am Bahnhof abgestellt hat, am Morgen daach noch dort steht.
Praktisches Detail: Der Schlüsselanhänger vom Schloss ist gleichzeitig ein Flaschenöffner.
Für diesen Winter werde ich das Rad definitiv noch nutzen. Nach mehr als 2 1/2 Jahren beginnt dann allerdings die Zeit, bei der man für den Preis sicher auch ein recht ähnlich gutes Rad auf dem Gebrauchtradmarkt bekommen kann. Kündbar ist der Tarif monatlich, es sei denn man schließt eine Laufzeit von 6 Monaten ab. Diese Laufzeiten gab es allerdings zu meinem Abo-Beginn noch nicht. Auch eine Pausierung des Abonnements ist möglich. Generell ist der Kundensupport sehr entgegenkommend und zuverlässig. Da man durch die Stores auch immer direkte Ansprechpartner:innen hat, können Probleme in der Regel relativ zügig angegangen werden.
Mit Swapfiets wird das Rad also nicht neu erfunden. Lediglich die Finanzierungsform. Es ist letztlich eine dieser Zwischenstufen zwischen Besitz und Sharing, die für mich als damaliger Student extrem lukrativ war. Wobei mittlerweile auch die Sharing-Angebote des öffentlichen Nahverkehrs, zumindest hier in Desden, durchaus verlockend sind und man beispielsweise 30 Minuten gratis ein Rad leihen kann. Für mich war aber die Flexibilität dann doch ein entscheidendes Kriterium.
Ich habe noch keine Statistik dazu gefunden, aber ich denke, dass die Mehrheit der Nutzer:innen Studierende sind. Für einen begrenzten Zeitraum kann man das Abo in jedem Fall empfehlen. Als langfristige Lösung ist es dann allerdings doch eine Frage der Investition. Zumindest wenn man seinen Wohnort nicht alle paar Monate wechselt oder großen Wert auf ein eigenes Markenrad legt. Oder nicht gerne auffällig unterwegs ist. Man wird nämlich alle paar Wochen darauf angesprochen Apropos Ansprechen...wer jetzt überlegt sich ebenfalls ein Swapfiets zuzulegen, der kann mich gerne kontaktieren. Dann wird die nächste Rate für beide günstiger, was aber nicht der Grund für den Bericht war